„Sie können ruhig etwas eher da sein“, hatte Zahnärztin Beatrice Reitz am Telefon gesagt. Wohl ahnend, dass der letzte Patient in ihrer Anmeldeliste nicht kommen wird.
Angstkalter Schweißausbruch, Panikanfall, Würgereiz, Ohnmacht ... – dass es auf den Behandlungsstühlen von Zahnärzten zu derart Reaktionen kommen kann, wird während des Studiums theoretisch vermittelt. „Hat man dann aber in der Praxis damit zu tun, muss man aus der Empathie für seine Patienten heraus wirksame Stressbewältigungs-Strategien entwickeln“, sagt die 41-jährige berufserfahrene Zahnärztin.
Ihren individuellen Behandlungsweg fand sie in der ältesten Methode, die nachweislich von Naturvölkern angewandt wurde, als noch lange nicht an medizinischen Geräte zu denken war, auch nicht an pharmazeutische Medikamente: in der Hypnose.
Nach einer Ausbildung in zahnärztlicher, medizinischer und psychotherapeutischer Hypnose sowie in Kinderhypnose weiß Beatrice Reitz zu nutzen, was das Gehirn in dem „bewussten“ Zustand zwischen Wachen und Schlafen sowieso macht: Es sendet Wellen aus, die den Körper in eine tiefe Entspannung versetzten. Ist der angstvolle Patient dagegen im Alarmzustand, lässt sich sein Körper gefühlsmäßig nicht mehr steuern, und aus seinem Unterbewusstsein kommen die übersteigerten Reaktionen hervor.
„In der Trance-Phase kann ich beruhigend auf die vegetativen Funktionen meines Patienten einwirken. Atmung, Pulsschlag und Muskulatur entspannen sich. Die kräftestärkenden Fähigkeiten kommen zum Vorschein“, sagt die Zahnärztin und dass Kinder recht schnell zu ihren Stärken finden. Bei Erwachsenen, die schon sehr viel erlebt haben, ist der Weg zu den Ressourcen oft blockiert“, weiß die Expertin.
Darum bietet sie unabhängig von der schmerz- und angstlindernden Hypnose während der Zahnbehandlung auch eine Hypnotherapie an.
Bei der Hypnotherapie wird den eigentlich Ursachen für die Zahnarztphobie oder für mit den Zähnen zusammenhängende psychosomatische Erkrankungen auf den Grund gegangen. „Die reinen Entspannungsmethoden funktionieren nicht, wenn das Problem zu groß ist“, sagt Beatrice Reitz.
„Es geht immer um die gefühlsmäßige Bewertung der Situation hier im Behandlungszimmer“, sagt die Ärztin. Warum gerade Zahnärzte verstärkt mit solchen Über-Reaktionen zu tun haben, bringt sie mit so unguten Gefühlen wie denen des Ausgeliefertseins und der Schmerzerwartung in Zusammenhang. Derart Negativ-Emotionen brächten oft ein Fass zum Überlaufen, das schon randvoll gefüllt ist mit unterschwellig quälenden Belastungen.
Beatrice Reitz stellt den Vergleich zwischen dem seelischen Gleichgewicht und einer Waagschale her: In der einen Schale liegen die Ressourcen, in der anderen die Probleme, die ein Mensch in sich trägt. Bei vielen hat sich das Gewicht zur problemgefüllten Schale hin verlagert. In der Hypnotherapie sollen Wege zurück zum Gleichgewicht gefunden werden – etwa durch den Abbau von Traumata und durch psychische Stabilisierung.
„Kinder holen aus ihrer Erlebniswelt spontan hervor, was sie brauchen, um mutig, stark und fröhlich zu sein. Erwachsene brauchen mehr individuelle hypnotherapeutische Beratung, um die Hindernisse beiseite zu räumen und zu ihren Selbstheilungskräften zu finden“, ist die Erfahrung der Zahnärztin. „Wer allerdings merkt, dass er aus eigener Kraft schwierige Situationen wie die einer Zahnbehandlung bewältigt, wird seine Ressourcen entfalten und seine Phobie überwinden oder seine Kopfschmerzen, oder seine Allergie ... “
Die Sprechstunde ist für diesen Tag vorbei. Der letzte Patient ist nicht mehr aufgetaucht. „Seine Strategie ist es nicht, an der Angst zu arbeiten, sondern den Angstzustand zu vermeiden“, schlussfolgert die Zahnärztin.