Ein Kollege bekommt am Ende des Telefonates mit seiner alten Mutter regelmäßig die fürsorgliche Mahnung: „Hetz’ Dich nicht!“ Und wenn meine Freundin mit ihrem Vater telefoniert, sagt der wie ein Ritual den gut meinenden Satz: „Mach Feierabend.“
Man sollte diese Sprüche ernst nehmen, sie als „weise“ erkennen.
Von der Lebenszeit, die uns gegeben ist, verbringen wir mehr als die Hälfte mit Arbeit. Aber noch nie war das Tempo, in dem wir auf die Anforderungen reagieren, die Aufgaben erledigen müssen, so hoch! Was in der Umkehr Zeit-Räume öffnet für ein immer höheres Arbeitspensum.
Einerseits kann sich kaum jemand ein sinnreiches gutes Leben ganz ohne Arbeit vorstellen. Andererseits macht die Arbeit immer mehr Menschen krank.
Andreas Franke, Vollzugsbeamter bei der Polizei, musste diese leidvolle Erfahrung machen. Eine Aufgabe, die er und seine Kollegen anfangs noch als eine interessante Herausforderung sahen, wuchs sich zur enormen Belastung aus. „Wir sollten ein betriebsinternes Softwareprogramm entwickeln“, erzählt Andreas Franke und dass diese Aufgabe von einem gewissen Entwicklungsstand an von Experten hätte weitergeführt werden müssen. Aus Sparzwängen heraus wurde keine externe Firma beauftragt. Ihre Mehrarbeit bekamen er und seine Kollegen weder bezahlt noch wurde sie mit Freizeit ausgeglichen. „Derart demotiviert sind wir immer verdrießlicher an die Arbeit gegangen, haben kaum noch Pausen gemacht und immer weniger bis gar nicht mehr miteinander geredet“, sagt Franke.
„Gerade aus Sparsamkeitsgründen kommt es immer häufiger vor, dass Mitarbeiter eines Unternehmens oder auch Angestellte im öffentlichen Dienst Aufgaben übertragen bekommen, die nicht in ihr Berufsprofil passen“, weiß auch Katina Hacker. Konfliktbewältigung ist für die Coaching-Agentur der Blankenburgerin ein großes Thema. In vielen Gesprächen mit Mandanten erfährt sie zudem: Oft mangelt es an den Führungskompetenzen der Chefs, die eigentlich die Bedingungen schaffen müssten, unter denen sich die gestellten Aufgaben gut erledigen ließen. „Für die Leidenden sollte der erste Schritt zum Ausweg immer das Gespräch sein“, rät Katina Hacker. – Andreas Franke weiß heute, an welcher Stelle er und seine Kollegen das Gespräch mit den Vorgesetzten hätten führen müssen.
Im Rückblick sieht Andreas Franke, dass es ein Schleichweg ist, auf dem man zunächst unbemerkt auf das Burn-out zusteuert. Bis man merkt, dass alltägliche Dinge nicht mehr von der Hand gehen. „Ich war hochgradig vergesslich und wollte nur noch schlafen“, erinnert sich der ehemalige Polizist. Den Kontakt zu Freunden hatte er völlig abgebrochen. Er lebte isoliert.
Wenn das Hirn nicht mehr richtig arbeitet, das Herz jede Nacht bis zum Halse schlägt und am Ende des Dauerstresses die völlige Erschöpfung mitsamt einer Depression stehen, sehen sich zunehmend auch die behandelnden Mediziner und Psychologen vor einem Problem: Für das Phänomen des „Seeleninfarktes“ gibt es immer noch keine Diagnose. Der Begriff Bourn-out wird in keinem medizinischen Katalog klar definiert. Im realen Leben aber müssen immer mehr Frauen und Männer die Erfahrung machen, wie sich das Ausgebranntsein anfühlt.
„Stress, der längere Zeit andauert, kann jeden krank machen“, sagt Dr. Jörg Frommer von der Magdeburger Uniklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Er beschreibt zunächst die Art von Stress, der uns alle in Abständen überrollt. „Die Stresshormone wirken anregend, lassen uns zur Höchstform auflaufen und versetzten uns dann in einen Erschöpfungszustand, der nach Ruhe und Erholung verlangt. Wir werden müde.“
Tritt diese Erholung nicht ein, so Frommer, verändert der weiter anhaltende Stress das körperliche und seelische Gleichgewicht tiefgreifend. Das Angstzentrum im limbischen System ist ständig aktiviert. Das Frontalhirn dagegen ist träge, was die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt.
In seiner direkten Wirkung auf das Immunsystem, sagt der Mediziner, könne Dauerstress Allergien und Autoimmunerkrankungen hervorrufen, den Organismus anfälliger machen für Infektionskrankheiten.
Wer so tief drin steckt in der Stressfalle, vermag sich kaum noch selbst daraus zu befreien. Experten wie Katina Hacker können helfen. Zunächst, sagt Katina Hacker, müssten die Stressoren genau identifiziert werden. Mit Hilfe von Fragen zum Beispiel: Was war früher anders, als es mir besser ging? Was muss anders sein, was brauche ich, damit es mir wieder gut geht?
18 Jahre hatte Heike Schneider als Referentin im Landratsamt gern und gut gearbeitet – dann wurde ihre Abteilung aufgelöst und sie in eine andere versetzt. „Ich allein kam in ein eingeschworenes Team“, sagt sie und dass sie die Ablehnung ihr gegenüber zum Greifen spürte. Sämtliche Mobbing-Methoden in Reinkultur wurden von den Kolleginnen angewandt. „Wenn ich nur an Arbeit gedacht habe, wurde mir schlecht“, erinnert sich Heike Schneider mit Schaudern an die Auswirkungen auch in ihren privaten Lebensraum hinein. Ihr Körper reagierte entsprechend – angefangen von Weinkrämpfen bis hin zur akuten Gallenblasenentzündung und folgender Operation.
Bis ihr Arbeitsverhältnis vor einem Arbeitsgericht gekündigt wurde, hatte sich Heike Schneider sieben Jahre schikanieren lassen. In ihrem Dauerstress hatte sie nur noch die Kraft für den berüchtigten Tunnelblick, der gar keine Sichtweisen auf Aus-Wege zulässt.
„Es gibt immer Alternativen“, betont Coacherin Katina Hacker. Auch in Fällen wie dem von Heike Schneider rät sie zunächst zu einem Gespräch mit betreffenden Kollegen, bzw. mit den Vorgesetzten. „Wenn man sich dazu überwunden hat“, sagt sie, „stärkt es auch das Selbstwertgefühl.“ Sie rät zudem zu einem Protokoll über die Vorkommnisse eines Tages. Aus dem könne hervorgehen, welches die Dauerangriffe sind, worauf sie sich beziehen und wo möglicherweise der Eigenanteil für die Angriffe liegt. Letztlich habe man mit dem Protokoll auch etwas in der Hand, wenn man das Gespräch mit dem Chef oder dem Betriebsrat sucht.
„Letztlich aber“, sagt Katina Hacker, „trägt jeder selbst für sich die Verantwortung. Und da kann die Entscheidung auch sein, lieber einen neuen Job zu suchen oder sogar erst mal gar keinen Job zu haben, als diesen schlechten, so sehr krank machenden.“
Richtig krank fühlte sich auch Rechtsanwältin Britta Hübner zu Beginn ihrer beruflichen Selbständigkeit. Sie sagt: „Ich musste erst lernen, damit umzugehen, dass es für 80 Prozent der erfolgreich abgeschlossenen Fälle nicht einmal ein Dankeschön von den Mandanten gibt.“
Dass gute Leistung als die Norm angesehen wird, erlebt nicht nur die Rechtsanwältin. Die aber kann von noch extremeren Fällen berichten – angefangen vom Feilschen und Drohen von Mandanten, zur Konkurrenz zu gehen, weil die Leistung als zu teuer angesehen wird, bis hin zu Schadensersatzprozessen gegen sie, weil der Mandant sich nicht optimal genug vertreten fühlt.
„Wenn Lob fehlt“, sagt der Magdeburgr Mediziner Jörg Frommer, „reagiert der Körper gestresst, auch ohne Druck von außen.“ Demzufolge könne auch mangelnde Anerkennung zur Sinnkrise im Beruf führen. Rücken- und Kopfschmerzen sowie eine hohe Anfälligkeit für alle möglichen Infektionskrankheiten lernte die Juristin Britta Hübner als körperliche Signale zu deuten. Ihre akute Stresskrise löste sie auf, indem sie als Partner in eine andere Kanzlei wechselte. Mit zunehmender Berufserfahrung wuchs auch ihr Selbstwertgefühlt. „Ein Lob bekommt ja jeder gern, aber ich mache meine Motivation nicht mehr davon abhängig“, sagt sie und dass die Mandanten wieder kommen, zeige ihr ja: „Ich mache eine gute Arbeit. Qualität setzt sich durch.“
Inzwischen kann sie Berufliches und Privates konsequent voneinander trennen. Die Freizeit wird nicht beschnitten, und zu einem festen Bestandteil ihres Lebens ist der Sport geworden.
Auch Heike Schneider und Andreas Franke haben durch Bewegung aus ihrer Lebenskrise heraus gefunden. In Reiki-Kursen hat Heike Schneider zunächst ihrem eigenen Körper geholfen, sich selbst zu heilen. Dann hat sie sich darin ausbilden lassen und ist mit Reiki in die eigene Selbständigkeit gestartet.
Neurodermitis, Bindehautentzündungen, Rückenschmerzen waren Diagnose-Kennziffern auf den Krankschreibungen, mit denen sich der Polizist Andreas Franke bis zum Eintritt in seine Pensionierung rettete. Doch auch danach fühlte er keine Gesundung an Körper und Seele. Im Taoismus fand er zum entscheidenden Satz seines weiteren Lebens: „Lass es werden wie es wird.“ Die Freude am einfachen Sein gibt ihm jetzt die Kraft für jeden beginnenden Tag.