Das Rindersteak vom Lieferanten aus der Region darf Modell stehen, ebenso die vegetarische Gemüsepfanne. Auch der hausgebeizte Lachs an Kartoffelrösti, dekoriert mit gelber Ringelblume und roter Kapuzinerkresse ist fotogen. Das imposante Gewölbe über den weiß gedeckten Tischen wird von Scheinwerfern angestrahlt. – Die Fotografen rücken ins rechte Licht, was ein gutes Motiv ist für den kulinarischen Wegweiser, der zu guter Küche an außergewöhnlichen Orten führen soll.
Beides trifft zu auf Hotel und Restaurant „Alte Canzley“ – direkt gegenüber der Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg.
Die Hotelgäste in der „Alten Canzley“ können ihre Reiseführer getrost in der Tasche lassen. Was es von den Mauern hier zu erfahren gäbe, steht in keinem Buch. Seit 1399 war dieses Haus Dienststätte der Kanzler der Kurfürsten, das Kanzleramt sozusagen. Gleichsam als Gästehaus genutzt, übernachteten hier die „Vip“s aus jenen Zeiten. Unter anderem 1707 der schwedische König Karl XII. und 1712 Zar Peter der Große. 1808 machten Napoleons Offiziere hier auf ihrem Marsch nach Russland Station. Ja, wenn Steine reden könnten ... – aber vielleicht bekommt man ja tatsächlich das eine oder andere zugeflüstert in der Nacht, die bekanntlich nicht allein zum Schlafen da ist.
Man sollte es ausprobieren – so dachte auch Christa Rath, als sie 2001 vom Schwäbischen nach Wittenberg ins Kernland der Reformation zog, um die „Alte Canzley“ wieder ihrer einstigen Bestimmung als Gästehaus zuzuführen. „Ich bin der Typ“, sagt sie, „der mit Vorliebe etwas anschiebt und aufbaut. Wenn es dann läuft, wende ich mich gern wieder neuen Aufgaben zu.“
Hotel und Bio-Restaurant in der „Alten Canzley“ laufen seit genau zehn Jahren. Und ja: Christa Rath hat längst neue Projekte angeschoben. Dieses Mal aber bleibt die 62-Jährige örtlich wie auch emotional in der Nähe der „Alten Canzley“. Irgendwie, meint sie, fühle sie sich in Wittenberg angekommen.
„Ich bin Christin, und die unmittelbare, hier sogar sichtbare Nähe zu meinem Glauben hat für mich etwas sehr Emotionales“, benennt Christa Rath ihre außergewöhnliche Bindung an ihr Gasthaus vis-à-vis der legendären Kirchentür von Luthers Thesenanschlag 1517.
Es allein bei dieser Historie zu belassen, langt in heutiger Zeit allerdings nicht aus, um einen Hotel- und Gastronomiebetrieb wirtschaftlich erfolgreich zu führen.
Zurück zu den Wurzeln – für Christa Rath schließt das die Rückkehr zu ihrem ersterlernten Beruf der Gärtnerin ein. Die Eltern hatten den Familienbetrieb schon 1965 auf „Bio“ umgestellt. „Dieses Gesundheitskonzept hat mein Leben bis heute geprägt“, sagt Christa Rath und macht auf ihren Bio-Grünstempel aufmerksam. Regelmäßig kommt ein Prüfer von der EU-Kontrollstelle für ökologische Erzeugung und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte ins Haus. Wenn letztlich die Petersilie im Gericht nicht nachweislich aus biologischem Anbau kommt, dürfe das gesamte Gericht nicht als Bio ausgewiesen werden, erklärt die Geschäftsführerin. Womit sie bei ihrem neuen persönlichen Projekt angekommen wäre: Ein Bio-Mischgarten, aus dem sie die „Alte Canzley“ mit Obst, Kräutern und Blumen versorgt. „In etwa zwei Jahren“, hofft sie, „wird er so üppig grünen, blühen und reifen, wie ich mir das vorstelle.“
Ein natürlicher Wachstumsprozess braucht seine Zeit. „Aus der ,Alten Canzley‘ ist das geworden, was ich mir vorgestellt habe“, blickt deren Geschäftsführerin auf die zurückliegenden Jahre seit der Eröffnung 2003. Seit 2010 hat sie die Assistentin Doreen Schwarze an ihrer Seite. Die 35-Jährige ist im Hotelmanagement ausgebildet. Christa Rath: „Wir gehen noch ein Stück des Weges gemeinsam“, die Geschäftsführerin bereitet ihre Nachfolge professionell vor.
Und sie freut sich, dass das Bewusstsein für die Gesundheit des eigenen Körpers in den letzten Jahren auch bei jungen Generationen wächst. Doreen Schwarze kann das bestätigen. Vor allem nach der Geburt ihrer Tochter sei sie achtsamer geworden, etwa beim Einkauf frischer Lebensmittel aus der Region. „Die haben ihren Preis. Aber da stelle ich mir immer die Frage, was mir mein Körper und der meines Kindes wert sind“, sagt Doreen Schwarze. Besagte Achtsamkeit nimmt sie auch mit an ihre berufliche Wirkungsstätte. Schon auf der alltäglichen Fahrt von Leipzig nach Wittenberg genießt sie mit wacher Aufmerksamkeit die Natur in der Dübener Heide.
Christa Rath hat in ihrer tiefen Verbindung zur Natur sogar zu einem neuen Beruf gefunden. Nach entsprechender Ausbildung eröffnete sie 2005 ihre eigene Heilpraktiker-Praxis. Und mit der Einrichtung eines Gesundheits- und Tagungszentrums unter dem Dach der „Alten Canzley“ schreibt sie sogar ein Stück Haus-Geschichte fort. Im 19. Jahrhundert war in das Gebäude ein Institut eingezogen, in dem die Hebamme erstmals eine berufliche Ausbildung bekam.
Die Räume der Gesundheitsakademie können für Tagungen gemietet werden. Selbstredend bietet die Heilpraktikerin Christa Rath hier auch ihr eigenes Programm an. Die Angebote drehen sich unter anderem um die Gewinnung von Wirkstoffen aus Wurzeln, Kräutern und Blüten; um Basenfasten und um ein ganz großes Thema: das gesunde Körpergefühl in den Wechseljahren.
Gesundheit und Lebensqualität im fortschreitenden Alter ist ein weites Feld. Die Gärtnerin und Heilpraktikerin Christa Rath hat sich vorgenommen, es zu bestellen – mit Methoden, die altbewährtes Wissen und neue Erkenntnisse verbinden.
Die Fotografen unterdessen legen haben ganz gesundheitsbewusst eine Mittagspause eingelegt – ihre kulinarischen Modelle, mit Ringelblume und Veilchen verziert, dürfen gegessen werden.