Suppe essen im Garten. Wir strecken unsere Beine ins Gras und lassen es uns gut gehen. „Wie lange ist das her, dass ich Suppe im Garten von Oma Bertha gegessen habe“, sinniert ein Freund. Und er rechnet dabei: „Die wäre jetzt 113.“ Kindheit-Garten-Oma ist auch bei mir eine Gedankenschiene. Oma Elfriede wäre 105. So wie sie schneide ich zu dieser Jahreszeit Zweige der Goldrute ab und stelle sie in ihre Vase, die seit sechs Jahren meine ist.
Mit einem „Plopp“ fällt ein Apfel ins Gras. Auch das ist Kindheit. Mit diesem Geräusch ging alljährlich unser langer Feriensommer zu Ende. Wir brachten die Äpfel zur Sammelstelle im Dorf. Zum Geburtstag meiner Oma gab es immer den ersten Apfelkuchen. Ich schmecke Zucker und Zimt auf der Zunge.
Die Luft füllt sich mit dem Duft von reifem Obst. Kleine Spinnen ziehen die ersten Altweiberfäden. Wir hängen unseren Gedanken nach. So vieles ändert sich. Zum Glück aber gibt es sie noch, Orte der Beständigkeit: ein Garten, etwas zu essen und zu trinken, Gespräche mit der Familie, mit guten Freunden. Wir sind uns einig: Hier im Suppentopf auf dem Tisch unter dem Apfelbaum steckt sooo viel Lebensglück.
Die meisten Menschen haben tief in sich drin eine Sehnsucht nach Natur – eben weil sie mit der stromernden Kindheit und Unbeschwertheit verbunden ist. „Wir saßen hoch auf Bäumen, aber wussten nicht, wie wir wieder hinunter kommen“, beichten meine Töchter erst über 20 Jahre später. Mit dem Erwachsenwerden wird uns das Vertrauen in die Natur, diese innige Verbindung zu ihr gekappt. Wir wurden nach drinnen geholt – in die Stadt, ins Auto, in die Wohnung, ins Büro... Moderne Jalousien schieben sich bei Sonneneinstrahlung automatisch vor die Fensterscheiben. Sie sperren uns weg, nehmen uns den Blickkontakt ins Freie. Es gab Arbeitsjahre, in denen ich nicht mitbekam, dass die Apfelbäume gerade blühten oder das Getreide gerade geerntet wurde.
Mit dem Älterwerden kommt der Drang nach draußen zurück. Dass Geist und Kreativität durch den Blick ins Grüne angeregt werden, ist für uns nicht mehr nur theoretisches Wissen. Und wir nehmen uns mehr und mehr die Zeit für die praktische Erfahrung, dass die Steigerung des Glücks im Säen, Pflanzen und Ernten liegt.
Meine Enkelkinder klettern mit großem Vergnügen auf die Bäume in meinem Garten. Ich habe ihnen den Apfel- und den Kirschbaum „geschenkt“ und dazwischen eine Hängematte gespannt. Sie löffeln Suppe aus eigener Zucchiniernte und lieben die roten Beeren. Ich hoffe, dass auch für sie Omas Garten ein Ort der Beständigkeit ist – und später in ihren Erinnerungen ein Ort des Kinderglücks.
