Meine Gartennachbarin balanciert auf ihrem Handteller eine Tortenplatte: Erdbeeren mit weißer Sahnehaube und Schokostreuseln obendrauf. Sie hat ihn entschlossen aufgegeben, ihren Kampf gegen den eigenen Körper. „Kein Verzicht mehr auf solche Glücksmomente“, sie deutet einladend mit dem Kopf zur Kaffeetafel mitten im bunten Blumenmeer. Ihre Augen strahlen.
Meine Nachbarin hat vor kurzem ihren 50. gefeiert. An jenem Tag spannte sie zwischen die Bäume in ihrem Garten eine Hängematte. „Mein neues Lebensgefühl“, hatte sie damals verkündet und überließ sich selig den leichten Schwingungen. Gerade sie? Das war irritierend. Ungewöhnlich. Und beeindruckend.
Eine neue Leichtigkeit schwingt mit, wenn sie sich lachend an frühere Epochen der Entsagung erinnert. Die sollen jetzt vorbei sein. „Der Genuss war aus meinem Leben verbannt“, sie lässt sich ihre Torte schmecken, „geopfert für den Triumph, dieselbe Jeansgröße zu tragen wie meine Tochter.“
Klar, ab einem gewissen Alter werden wir immer strenger mit uns selbst. Im Job wie in der Freizeit wollen wir uns ewige Jugend mit ebenso hoher Leistungsfähigkeit beweisen. Bis uns ein Gesicht frustriert aus dem Spiegel entgegenblickt. Seine grimmige Botschaft: Dieses Leben ist zu anstrengend. Denn mal ehrlich: den Körper auf passable Formen, auf gelenkig und knackig zu trimmen, kostet mit jedem Jahr mehr – auch an Lebenslust.
Ich finde, es ist jetzt an der Zeit, in unser Wohlergehen zu investieren. Manchmal auch gegen die angeblich „gesunde“ Vernunft. Denn warum bitte schön soll immer die Vernunft regieren, womöglich den Gleichtakt zwischen Körper und Seele stören?
Meine Gartennachbarin spricht vom „Seelenfrieden“ den sie wiedergefunden hat, seit sie mit ihrem Körper Freundschaft hält, ohne an ihn Bedingungen zu stellen. Sie geht achtsamer mit seinen Bedürfnissen um. Wenn er die K.o.-Botschaft sendet, überhört sie das nicht mehr, auch wenn das Kopfkino weiter antreibt. Dann balanciert sie Körper und Seele aus, so achtsam wie ihre wunderbare Erdbeertorte.
Die Vorstellung von derart entspanntem Leben hat etwas Verführerisches. „Hey, mach’ dich locker“, vermeine ich zu hören. Da machen sich wohl Körper und Seele gerade gemeinsam stark. Ich bin bereit: Ja, wir legen uns in die Hängematte. Gleich. Vorher muss ich nur schnell diesen Text schreiben...
Das Leben ist keineswegs grau!
Herzlichst,
Ihre Kathrain Graubaum
